Montag, 16. Mai 2016

Love, language & leadership in equal doses

Ich bin ja immer dafür, dass man den Pferden wirklich zuhört und Rücksicht auf ihre Gefühle und Bedürfnisse nimmt: Beim Satteln, beim Trensen, bei der Bodenarbeit, denn Pferde teilen uns in der Tat ganz viel mit. Ein Lob sollte Anerkennung sein ... Streicheln statt Klopfen ... wie ist der Gesichtsausdruck des Pferdes .. kann ich mein Pferd in Ruhe seinen Job machen lassen? Reiten und Bodenarbeit sollen auch fürs Pferd Sinn machen, also geben wir unseren Übungen einen Zweck (das kann z.B. auch ein Turnier sein). All dies sind Dinge, die wir unterrichten und worauf wir großen Wert legen, dass z.B. eben auch das Turnier zum gemeinsamen Projekt von Pferd und Mensch wird. Bei Lucky und Cisco klappt das sogar recht gut, aber Fancy ist - wie in den vorherigen Blogeinträgen berichtet - auf Turnieren oft wie ausgewechselt, so als wäre es ein völlig anderes Pferd.
Ich habe schon sehr oft gedacht, dass sie ganz genau weiß, wann Prüfung ist und mich gefragt, woher sie es weiß? Dass sie meine Gefühle und Gedanken aufschnappt ... daran habe ich keinen Zweifel, weil ich ja gelegentlich sogar ihre aufschnappe (siehe vorheriger Blogeintrag), aber warum wird sie auf den Turnieren so hektisch, wo sie doch sonst mittlerweile solch ein gelassenes ja sogar anfängertaugliches Pferd geworden ist? Auf Turnieren ist sie gelegentlich genauso wie in den ersten Monaten, als wir sie bekommen haben: Immer auf der Flucht - zumindest innerlich, was sich in Rennen, Angespannt-Sein oder Piaffieren-auf-der-Stelle äußern kann. Sie vertraut uns nicht in dem Ausmaß wie sie es zu Hause tut. Warum nur?


Was ist für Fancy so anders? Mir ging dieser Tage durch den Kopf, dass man auf dem Turnier ja eigentlich immer sehr verhalten reitet, ja fast zu sehr um Harmonie bemüht ist: Bloß nicht zu hart einwirken, am Besten gar nichts machen, sonst ist es vorbei mit der Platzierung. Schon etwas anders als das Reiten daheim - vielleicht sogar wie ein unsicherer Wicht - zumindest aus der Sicht eines ebenso unsicheren Pferdes: Auch wenn man sehr selten die gestern erwähnte Phase 4 einsetzt, weil die im Idealfall ja ein Leben lang vorhält, reitet man als landläufiger Horsemanshipler zumindest zuhause mit der inneren Haltung: "Wenn es sein müsste, dann gibt es einen Klaps, um meinen Raum zu verteidigen; um ein durchgehendes Pferd zu bremsen; um Gehorsam und Sicherheit zu gewährleisten oder, oder, oder ..." und diese Bereitschaft spürt das Pferd und genau das gibt ängstlichen Pferden Sicherheit. Ich bin ganz und gar gegen Gewalt jeglicher Art und es kann natürlich nicht das Ziel sein, ein Pferd einzuschüchtern oder zu einer Leistung zu zwingen, aber es lohnt sich auch einmal ein Blick auf die Kehrseite der Medaille zu werfen (z.B. auch im Blog der Parelli-Instruktorin Silvia Aigner).
Oder auch mal um die Ecke denken, wie bspw. in Situationen, wo man einem hysterischen Menschen eine Ohrfeige verpasst und dieser sagt: "Danke schön". Noch ein Beispiel: Stellt Euch vor, Ihr seid im Dschungel mit dem Flugzeug abgestürzt: Wem vertraut ihr Euer Leben an? Dem, der unsicher ist und auch keine Idee hat, ob man gen Süden oder Norden ziehen soll oder dem, der durch sein ganzes Auftreten zeigt: "Ich weiß, wie wir hier rauskommen." Ähnlich geht es auch unseren Pferden (oder manchen davon): Als Fluchtier sind sie im höchsten Maße darauf angewiesen, dass wir ihnen beweisen, dass wir sie notfalls auch vor einem angreifenden Tiger beschützen und ob wir das können oder nicht, versuchen sie durch kleine Tests heraus zu finden: Ein bißchen schneller oder langsamer laufen als angefragt, eine kleine Abweichung vom Weg, als wollten sie fragen: "Passt Du auch wirklich (auf mich) auf?", denn fürs Pferd fühlt sich so manche Situation vielleicht so an, als ginge es ums nackte Überleben. Der Fluchtinstinkt ist bei den unterschiedlichen Pferdtypen unterschiedlich stark ausgeprägt und ich nehme an, dass wir in der Regel auf Turnieren die selbstbewussten Vertreter ihrer Art antreffen - gestern gab es hier einen Link zum Artikel von taunusreiter , in dem zwischen vier Urtypen des Pferdes unterschieden wird). Bei Pat & Linda Parellis Horsenalitys gibt es ebenfalls vier Grundtypen und das Fluchttier par excellence ist dort der so genannte Right Brain Extrovert = RBE (siehe auch den entsprechenden Themenmonat im Partner-Blog - die Grafik oben hat übrigens Linda Parelli auf Facebook geteilt) und Fancy ist vom Persönlichkeitstyp eben ein RBE wie er im Buche steht. Landläufig würde man denken, dass man sich bei einem selbstbewussten Pferd mehr durchsetzen müsste als bei einem ängstlichen Pferd, aber meine Erfahrung zeigt, dass es auch oft umgekehrt ist. Mein Sohn Janik ist ja wirklich ein ganz Lieber und Fancy hängt natürlich sehr an ihm, aber sie sieht in ihm nicht ihren Beschützer und das kann dann gelegentlich so enden, dass sie von Galoppsprung zu Galoppsprung schneller wird (siehe auch Blogeintrag an Janiks Geburtstag):


Nachdem Fancy Prüfung für Prüfung immer mehr Tempo zulegte, war ich sicher: Sie braucht im Moment einfach mehr Leadership (Liebe und Sprache allein reicht eben nicht - man braucht alle drei Elemente in der Kommunikation) und zwar so, dass sie weiß: Kommt der Tiger, dann schlagen wir den in die Flucht. Und das habe ich Fancy auf "Pferdisch" mitgeteilt: In all meinen Jahren als Turnierreiterin habe ich das 1. Mal mein Pferd so energisch rückwärts gerichtet, dass ich sogar vom Steward angesprochen wurde. Zu Recht, denn eigentlich soll man auf dem Turnier natürlich nicht mehr das Pferd trainieren müssen, schon gar nicht irgendwie grob, weil wir ja auch ein Image verteidigen wollen und auch großen Wert darauf legen, dass unsere Pferde mit ganz feinen Hilfen geritten werden. Aber für Fancy war das "Tough-Sein" in dem Moment eben wirklich genau das, was sie gebraucht hat. In Ermangelung eines Sticks und im Bemühen nicht wie ein schwacher Wicht auf Fancy zu wirken, war das energische Anhalten und Rückwärtsrichten auf die geringste Tempobeschleunigung in dem Moment die einzige Möglichkeit ihr zu beweisen: "Ich passe auf Dich auf, habe alles im Blick und bin in der Lage, Dich selbst vorm angreifenden Tiger zu beschützen".  Und in der Tat, es war zumindest an dem Tag genau das gewesen, was ihr im Endeffekt Sicherheit gegeben hat, denn die Reining im Anschluß hat dann so ausgesehen: Fancy hielt ein ruhiges, gleichmäßiges Tempo und war viel entspannter als zuvor:



Nach Parelli kommt es eben nicht nur darauf an, WAS man tut, sondern WIE und WANN man es tut und vor allem WARUM man es tut. Und ich glaube auch, dass Pferde (wie ja auch unsere Kinder) wissen, dass man manchmal Dinge aus Liebe tut, die hart sind (z.B. wenn man ein Kind aus Sicherheitsgründen am Schlafittchen packt, dass einem Ball auf der Bundesstrasse hinterher läuft) oder ob man hart ist, um Macht auszuüben (nichts liegt mir ferner als das). Es geht eben tatsächlich viel mehr um die Intention unserer Handlungen als es auf den ersten Blick scheinen mag: Ob ich etwas für oder gegen das Pferd tue, macht bei ein und derselben Handlung einen sehr großen Unterschied.
Selbstverständlich habe ich nicht vor, energisches Rückwärtsrichten als Korrektur zur Gewohnheit werden zu lassen, denn eigentlich arbeiten wir ja überwiegend mit (Pferde-)Psychologie und unser Konzept steht auf den beiden gleichwertigen Säulen: Gehorsam und Motivation. Die ideale Phase 4 soll ja auch ein Pferdeleben lang vorhalten (siehe Artikel im Partnerblog). Daher habe ich an Janik appelliert, dass man Leadership in sich selbst fühlen muss, es reicht wirklich die Bereitschaft zur Phase 4 im Sinne von: "Wenn ich müsste, würde ich." Pferde spüren das und es reicht, wenn man dem Pferd zeigt, dass man eine kleine Tempoänderung registriert. Daher gilt Parellis Grundsatz: "Mach besser früh wenig, als später viel." Denn wenn dieser Zeitpunkt verpasst ist (vielleicht auch nur deswegen, weil es - wie in Janiks Fall - die allererste gemeinsame Westernriding ist), dann ist es gelegentlich besser, einmal richtig Bescheid zu sagen als zum nervigen und nicht ernst zu nehmenden Dauernörgler zu werden.
Ich war ehrlich gesagt versucht, Euch diese Geschichte gar nicht erst zu erzählen, obwohl wir ja immer schon durchaus auch zu unseren Mißerfolgen stehen. Aber in diesem Fall ging mir der Gedanke durch den Kopf, dass es sicherlich einige wenige Menschen gibt, die meine Geschichte als Legitimation für Grobheiten gegen das Pferd sehen könnten, was ich ja nun auch nicht möchte, aber andererseits kann immer lieb und nett sein, dass Pferd auch in der Tat verunsichern und Angst ist auch kein schönes Gefühl. Linda Parelli hat einmal gesagt: "Gib dem Pferd, was es braucht und es gibt Dir, was Du willst." Und um das umsetzen zu können, muss der Mensch erst einmal lernen zu Denken wie ein Pferd - wobei das, was ein Pferd braucht, eben nicht bei jedem Pferd das Gleiche ist. Selbstbewusste Pferde brauchen es z.B., dass man auch sie etwas entscheiden lässt und so genannte Right Brain Introverts brauchen viel mehr Zeit und Geduld als jeder andere Persönlichkeitstyp. Deswegen schließe ich diesen Blogeintrag mit einem weiteren Pat Parelli Zitat: "Sag niemals nie, sag nicht immer immer, normalerweise sag normalerweise."

Wer mehr über Pferdepersönlichkeitstypen erfahren möchte, den lade ich herzlich zu unserer nächsten 12 Oaks Night an Fronleichnam ein, denn dort stellen wir nicht nur die Horsenalitys nach Parelli vor, sondern zeigen individuelle Motivationsstrategien, damit ein jedes Pferd irgendwann einmal voller Begeisterung sagt: "Die Antwort ist Ja, was war noch gleich die Frage (P. Parelli)"


Einen Vorgeschmack auf den Infoabend kann man sich im Partnerblog beim "Themenmonat Horsenalitys" holen.



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