Sonntag, 9. April 2017

Die Geißel der Perfektion im Turniersport - Teil 2

"Ich würde mein Pferd ja nur auf einem Turnier vorstellen, wenn ich so weit bin, dass ich es am langen Zügel stoppen kann", schrieb jemand neulich in einer Facebook-Gruppe. Anlass der Diskussion waren ein paar Kommentare, die unter Turniervideos meiner Kinder getätigt wurden, denn wir hatten es nicht nur gewagt, auf der Equitana Open Air das EWU-Turnier mit einem gelegentlich nervösen Pferd zu reiten (nicht immer, aber immer seltener); wir haben sogar die Videos bei Youtube hochgeladen, bei denen es nicht geklappt hat, weil wir denken, wir sind ehrlich und stehen dazu, dass es auch mal schief geht. Das Video war dieses hier, wo meine Tochter disqualifiziert wurde, weil sie mit der zweiten Hand in die Zügel gegriffen hat:






Jetzt habe ich ja im Zirkus- und Vlog-Kanal (einem meiner drei 12oaksTV-Youtube-Kanäle) auch noch React-Videos auf Pferdeprofi Sandra Schneider gemacht (nachzulesen HIER im Partnerblog). Und es ist schon wahr: Wer die Klappe aufreißt, muss das Echo vertragen können. Das gilt für Sandra Schneider, wenn sie die Westernreiter anklagt und für mich, wenn ich als Reaktion dann sie in Blogbeiträgen oder React- oder Besserwisser-Videos aufs Korn nehme. Ich persönlich kann durchaus das Echo vertragen und es gab dann auch muntere Diskussion in den Kommentaren unter diesen Videos. Wenn es aber gegen meine Kinder geht, dann bin gelegentlich auch ich ein bisschen empfindlich und da ich ja die Facebook-Gruppe "Die Pferdeprofis an der Bande" gegründet habe, habe ich obiges Video dorthin geteilt und mich bitterlich darüber beschwert, dass man da gegen meine Kinder wettert, zumal mein Sohn nicht ganz gesund ist und man mir im Kindergarten gesagt hatte, er würde nie eine Regelschule besuchen (sein Werdegang ist HIER nachzulesen).
Unter dem oben geposteten Video  stand nun also folgender Kommentar, den ich nicht nur ungerecht, sondern auch unqualifiziert fand: "auch hier: zügel kürzer! viel slack sieht zwar schick aus, nützt aber rein gar nichts wenn das pferd (oder der reiter) noch verbindung braucht. und wenn mein zügel 20 cm durchhängt, muss ich auch erst mal die hand 20 cm weit bewegen damit da vorne mal was ankommt... was auch nicht grade schön aussieht... ich muss den zügel so kurz haben dass ich jederzeit punktgenau einwirken kann und das scheint bei diesem pferd absolut notwendig zu sein" Ist das so?????
Unter dem Video meines Sohnes hatte dieselbe Dame (eine ohne Profilbild und ohne ein einziges Video auf ihrem Kanal) auch etwas geschrieben, der auf derselben Messe eine Ranch Riding komplett in den Sand gesetzt hatte, wo sich dann tatsächlich zwei Damen zu uns bemühten nur um uns zu sagen: "Das war kein schöner Ritt." Da bin ich aber froh, dass ich das jetzt weiß, zumal mir das sonst gar nicht aufgefallen wäre. Es war ja wirklich kein schöner Ritt und Janik war nicht platziert - es muss ja auch die Reiter geben, die nicht platziert sind und irgendwer muss einfach Letzter werden - nützt ja nix. Aber auch wenn es kein schöner Ritt war, so ist es erstens Aufgabe des Richters das zu beurteilen, der hat es gelernt und zweitens sind es Tiere - nach Parelli: eine eigene Meinung auf vier Beinen - und wir alle machen ja sogar beim Autofahren Fehler - beim Pferd-Reiter-Paar sind es schon deswegen mindestens doppelt so viele Fehler, weil sich da ja zwei Lebewesen auf ein gemeinsames Vorgehen einigen müssen. Der Eine sagt: "Ab durch die Mitte" und der Andere: "Bloß nicht". Nicht jeder Ritt ist jetzt ästhetisch besonders wertvoll (Erklärung für die Shitstormer: nicht ästhetisch = sieht nicht schön aus). Und überhaupt: Wo kommt eigentlich diese bescheuerte Forderung her, dass immer alles schön auszusehen hätte? Manchmal ist doch auch etwas notwendig, das selbst dann für die Sicherheit aller Beteiligten sorgt, wenn es sogar so richtig unschön aussieht. Kindererziehung ist ja auch nicht immer nur schön. Aber bevor ich mich jetzt ereifere, das habe ich ja schon letztes Jahr zur Genüge getan: Zu dem mißglückten Ritt meines Sohnes gibt es bereits einen Blogbeitrag und zwar HIER.

Also will ich dann jetzt nach dem langen Vorgeplänkel endlich mal zur Sache kommen - Zügel kurz oder lang? Posten oder nicht posten?

Zu Frage 1: Wenn man ein Bit drin hat und das Pferd die ganze Zeit am kurzen Zügel festhält, dann reagiert manch ängstliches Pferd regelrecht klaustrophobisch und ergreift erst recht die Flucht, gebe ich stattdessen impulsartige Hilfen, dann entspannt das Pferd und schnaubt selbst dann ab, wenn das für den Zuschauer eben nicht den Apassionata-Schönheitswettbewerb gewinnen könnte. Ich persönlich finde nämlich, dass meine Tochter das verpöhnte "Zupfen" sehr gefühlvoll gemacht und in einem perfekten Timing immer dann nachgegeben hat, wenn das Pferd weich wurde. Es geht doch hoffentlich bei der reiterlichen Hilfengebung nicht darum, ob es für den nicht-zahlenden Zuschauer ein ästhetisch einwandfreies Kunstwerk in Bewegung wird, es geht darum, dass es "Pro Pferd" ist. Nicht zahlend deswegen, weil es sich hier nach wie vor um eine Turnier handelt und um keine Showvorführung auf der Messe. Bei Letzterem würde ich dem Zuschauer durchaus das Meckern zugestehehen, wenn es eben keine schöne Show war. Denn dann hat er ja für diese Kunst mit dem Pferd bezahlt - ob der Weg zum fertigen Kunstwerk immer nur schön war, mag ich jetzt nicht beurteilen

Foto vom Abreiten: Da war sie noch die Ruhe selbst
- möglicherweise hat sie gelegentlich Prüfungsangst
Zu Frage 2, der Kernfrage: Darf man seine Pannenritte nicht öffentlich zeigen oder in der eigenen Facebook-Gruppe posten?  Denn so ein Kommentar kam dann auch in der Gruppe: Ein so schlechtes Video würde man selbst ja nicht posten, denn es wäre ja klar, dass dann Kritik käme. Es schrieb sogar jemand, dass das Pferd eingerollt wäre und auf der Vorhand latschen würde und wie man sich nur mit einer derartig schlechten Leistung brüsten könnte. Da hat wohl jemand, das Video gar nicht angeschaut, sondern einfach mal mit den üblichen Vorwürfen gegen die Westernreiter um sich geworfen, denn in Wahrheit lief Fancy mit erhobenen Kopf spannig wie eine Sprungfeder: also weder eingerollt noch auf der Vorhand, sondern eher so wie WC-Enten laufen würden, wenn sie denn laufen könnten.

Es gab natürlich deutlich mehr Leute in dieser meinen Facebook-Gruppe, die die Leistung meiner Tochter anerkannten und gelobt haben. Jede Menge der anwesenden Turnierreiter hat von eigenen Pannenritten erzählt und eigentlich war es so richtig nett und gemütlich - wir haben alle viel gelacht.

Jetzt stelle man sich aber dennoch einmal vor, jeder postet immer nur den perfekten Ritt, wo wirklich alles geklappt hat. Ja, gibt es denn dann überhaupt noch irgend ein Video, das man posten kann? Selbst wenn ein einziges Mal im Leben dieser Griff in den Goldtopf gelingt und man kann so ein perfektes Video posten, dann ist man dennoch keineswegs vor etwaigen Shitstorms gefeit: Dann ist das Pferd nämlich eingeschüchtert und was der Pöbel sonst noch so alles erfindet: Dann wird behauptet, man hätte es über Nacht mit dem Kopf an die Decke gebunden oder würde es verprügeln, um es gefügig zu machen. Ja, nee, iss klar: "Wenn mir einer sagt, dass er mich verprügelt, wenn ich nicht sofort einen dreifachen Salto hinlege, dann werde ich alleine deswegen verprügelt, weil ich das nicht kann mit dem Salto - beim besten Willen nicht." Und wie Horst Becker im Teil 1 so treffend gesagt hat: Ist es nicht schade, dass man realistische Ritte oder den Werdegang eines Pferdes heutzutage nicht mehr zeigen kann aus Angst vor schrägen Kommentaren oder aus Zeitmangel, weil man sich so einer Diskussion dann ja auch stellen muss.
Aber zurück zu den Besten der Besten: Auf der Equitana vor zwei Jahren sind die besten Reining-Reiter des Landes angetreten (wir kennen das ja nur von der Pferd-Hund-Messe und der kleinen Equitana Open Air, da vibriert die Luft, Tausende Zuschauer, Scheinwerfer etc). Auf der großen Equitana ist es also schon eine Leistung überhaupt einen wertungsfähigen Ritt hinzubekommen, denn die Pferde sind natürlich angespannt, es sind ja keine erfahrenen Messepferde. Für gute Reining-Manöver müssen die Pferde aber locker sein und schon haben wir es mit Katzen zu tun, die sich unablässig in den Schwanz beißen. Das müssen Pferde erst mal lernen mit den Messen und die ersten ein, zwei, drei Male ist das halt noch grenzwertig.
Nichtsdestotrotz erzählt mir neulich eine Facebook-Bekannte (die ich menschlich sogar sehr mag): "Gutes und schlechtes Reiten ist ja unabhängig von der Reitweise, aber was ich da auf der Equitana gesehen habe bei der Abendshow: Die Reining-Pferde waren platt im Gegensatz zu den Cutting-Pferden." Leute, mir fiel das Lächeln aus dem Gesicht. Kein Reining-Pferd ging lahm, manche dieser Pferde kenne ich persönlich und habe sie zuhause in ihrer heimischen Halle gesehen oder beim Spielen auf der Weide. Das sind quietschvergnügte Pferde - wie kommt also jemand, der zuhause nicht ein einziges reitbares Pferd hat, dazu zu sagen, dass diese Pferde "platt" (!!!) sind, nur weil sie sich trotz der Hexenkessel-Atmosphäre bemüht haben, es ihren Reitern recht zu machen? So ist es doch: Geht es schief, fällt die Meute über einen her, weil es schief geht - geht es nicht schief, ist das Pferd entweder platt oder zeigt Kadavergehorsam ... also geht es uns wie der angeklagten Hexe im Mittelalter - sterben müssen wir auf jeden Fall - egal ob für schuldig befunden oder nicht.
(Den Kommentar, den ich erhielt, als ich folgendes Video auf FB gepostet habe, will ich euch nicht vorenthalten: "Dennoch (eine) fürchterlich entwürdigende Art des Reitens. Grässlich, egal ob mit oder ohne Zaum. Pferde sollten agil, elegant, ausdrucksstark sein, und nicht halbtot...")



Ich finde auch, dass man mit dem Öffentlich-Stellen eines Videos noch lange nicht darum gebeten hat, dass Hinz und Kunz seine unqualifizierte Kritik hinterlässt und vertrete in der Tat den Standpunkt: "Draufsetzen besser machen - und zwar bitte auf einem Turnier." Denn zuhause klappt bei uns Turnierreitern ja auch alles auf unsichtbare Hilfen. By the way: Wo sind eigentlich die Videos von den Meckeren? Fragt man danach, dann hört man: "Mein Pferd ist doch noch nicht eingeritten, das ist erst fünf .. ich warte bis es sieben ist", oder man findet dann doch mal ein Video, wo man eigentlich schon bei den Zuhause-Ritten die Hände über den Kopf zusammenschlagen mag, aber man sieht sich nicht unbedingt jedes Mal gezwungen, dieses Hände über dem Kopf-zusammen-schlagen auch öffentlich kundzutun (Ausnahmen sind die TV-Profis, die dadurch dass sie ein Millionenpublikum in einer Coaching-Doku ansprechen, potentiell Standards in der Pferdewelt setzen).
Manchmal sind aber auch richtig gute Reiter unter den Kritikern, die das Draufsetzen-Besser-Machen tatsächlich drauf haben, aber es gibt ja auch begabte Pferde und weniger begabte Pferde. Unsere Fancy war zu nichts zu gebrauchen, als wir sie  gekauft haben. Einen Teil ihrer Geschichte wird in meinem Buch "Westernreiten meets Natural Horsemanship - wie das Turnier zum gemeinsamen Projekt von Pferd und Mensch wird" erzählt. Somit erst mal Werbung, danach geht es um Hardy Oelke (ja ich gehöre zu den bitterbösen, weil gewissenlosen Menschen, die nicht nur für die kostenlose allgemeine Unterhaltung bloggen, sondern genau dafür, um Aufmerksamkeit zu bekommen bzw. die eigenen Bücher zu vermarkten, aber ich meine das, was ich schreibe trotzdem ernst).



Ihr könnt meine Bücher auch hier bestellen, weil ich dann etwas mehr verdiene ;-) :



Im Nachwort des ersten Buches geht es um einen Zeitungsartikel von Hardy Oelke, der ebenfalls den Westernreitern schwere Vorwürfe macht, die mich schon deswegen sehr ärgern, weil zumindest die EWU sich sehr um Tierschutz bemüht und man das auch endlich einmal anerkennen sollte (andere Verbände kann ich nicht beurteilen, aber auf der Q 16 ist mir als Zuschauerin auch nichts Tierquälerisches aufgefallen). Oelke hat als Redakteur der Westernhorse ebenfalls die Macht, Standards in der Pferdewelt zu setzen, die möglicherweise so gar nicht sinnvoll sind und somit durchaus öffentlich hinterfragt werden dürfen und sollten. Genau wie die Youtube-Kommentar-Erstellerin den kurzen Zügel wie im Klassisch-Reiten als Allheilmittel propagiert, der dann ja zwangsläufig nicht nur zur Aufrichtung, sondern oft genug sogar zur Gegenwehr des Pferdes führt, empfiehlt Oelke genau diesen, nennt ihn im Gegensatz zur Youtube-Kritikerin aber langen Zügel, weil man immerhin einen "Slack" von etwa einem Zentimeter hat. Hier muss es erlaubt sein anzumerken, dass die Aufrichtung gesundheitlich auch nicht ganz unbedenklich ist, was meine beiden Bücher (die ersten beiden) ebenfalls unter Beweis stellen und was einem das Pferd mit seiner Gegenwehr ja vielleicht auch mitteilen will - wobei ja auch da jeder Jeck anders ist und gegen eine Aufrichtung von zwei, drei Minuten mit Entspannungspausen dazwischen rein gar nichts einzuwenden ist.
Der Artikel ist lang geworden und hat so gar keinen Platz mehr vom Werdegang unseres Pferdes Fancy zu erzählen: Zu ihr sind mir noch ein paar recht heftige Begebenheiten eingefallen aus der ersten Zeit, wo wir sie hatten, die ich in Buch 1 gar nicht erzählt habe (und da habe ich eine Menge Schandtaten meiner Pferde zum Besten gegeben). Deswegen erzähle ich sie in einem anderen Blogbeitrag im Partnerblog. Fancy ist ein Pferd, das vom Nervenkostüm eigentlich überhaupt nicht turniergeeignet ist, wo wir auch deswegen ganz bewusst Pannenritte zeigen, um zu beweisen, was Natural Horsemanship leisten kann bei allen den Pferden, die landläufig als Probempferde gelten, denn genau das ist doch die Kernaussage von Buch 1: "Wie das Turnierreiten zum gemeinsamen Projekt von Pferd und Mensch wird". Aber auch wenn vieles möglich ist: Deutscher Meister wird man mit so einem Pferd wohl nicht werden, aber immerhin haben sowohl mein Sohn als auch ich mit genau diesem Pferd den Aufstieg von der Leistungsklasse 3 in die Leistungsklasse 2 geschafft (mein Sohn die Hälfte der Punkte, weil das Pferd im Laufe der Saison an einem Hufgeschwür erkrankt war, aber ich komplett).

Zum Abschluß ein Wort zu einem etwaigen Shitstorm, den dieser Beitrag auslösen könnte: Ja, es ist eine Satire, deswegen die z.T. sehr überspitzten und z.T. bitterbösen Formulierungen und nein, Satire ist nicht dasselbe wie Comedy, was ihr in Teil 1 nachlesen könnt oder unter diesem Link: http://sarkasmus-ironie-zynismus.de/merkmale-der-satire/ 
Und nein in einer Satire muss ich auch niemandem Gerechtigkeit widerfahren lassen und auch keine Pläne parat haben, wie es denn besser gehen würde. Die Satire will einfach nur aufrütteln und zum Nachdenken anregen, was nicht heißt, dass ich das tagelang mit Hinz und Kunz diskutiere, der nicht das liest, was ich geschrieben habe, sondern das liest, was er lesen will. Ich behalte mir also vor den Post zu löschen oder auf Facebook die Kommentarfunktion zu deaktivieren, wenn es mir zu bunt wird, wie ich ihn z.B. bei folgenden Beitrag in meinem politischen Blog hatte:


Aber völlig humorlos bin ich ja nicht. Die Satire rechts im Bild hat Rezensionen in der Art bekommen, dass sich die Leser regelmäßig fragten, ob sie lachen oder weinen sollten (nachzulesen bei Amazon) und wie der Name schon sagt mit dem "Westernreiten zwischen Witz und Wissenschaft" ist das schon so gemeint, dass es etwas zum Schmunzeln gibt, aber damit will ich zu gar nichts aufrütteln, sondern einfach nur unterhalten. Das nennt man dann Glosse (habe halt im Deutschleistungskurs aufgepasst und bei meiner Ausbildung zur Redakteurin auch)

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